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Der Alpenraum auf Talfahrt?

Als aktuell bekanntester Erforscher der Entwicklung der Alpen gilt Werner Bätzing, jedenfalls wenn die Betrachtungen den gesamten Alpenraum und die Zeit ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betreffen. Da seinen Worten und Schriften (aktuell zwei neue Bücher und Vortragstätigkeit) weit über die Wissenschaft hinaus Gewicht beigemessen wird, scheint es mir angebracht, hier zum einen oder anderen Punkt seiner Thesen Stellung zu beziehen. 

Wildnis Alpen?

Untersuchungen über die gesamten Alpen, vom Wienerwald bis zu den Calanques an der französischen Mittelmeerküste, sind eine extrem herausfordernde Aufgabe, nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der schwierigen Vergleichbarkeit der Statistiken der einzelnen Alpenstaaten. Ungeachtet dessen ist es überaus wertvoll, über detaillierte Schriften Zugang zu einem Erfahrungsschatz zu erhalten, der auf einer dreieinhalb Jahrzehnte währenden, konsequenten wissenschaftlichen Arbeit beruht. Doch trotz des wissenschaftlichen Anspruchs fließt in die Interpretation der Beobachtungen und Ergebnisse ein schönes Stück Ideologie mit ein. Das wird spätestens dann sichtbar, wenn es um die Bewertung von Entwicklungen geht, die in den Alpen abgelaufen sind bzw. ablaufen oder auch, wenn Handlungsempfehlungen dargeboten werden. Erkennbar ist dies u.a. daran, dass neben dem Brachfallen und Verwalden weiter Gebiete, speziell in den italienischen und französischen Südalpen, auch die Verstädterung in den Haupttälern sowie das Entstehen der großen Tourismuszentren als Verwilderung der Alpen bezeichnet wird.

Tourismus - Teil der Verwilderung?

Nun, das Wissen darüber, was der Tourismus dort, wo er stattfindet, für viele Alpentäler bedeutet, zählt wohl zum Allgemeingut. Und auf die Frage, welche Verwilderung wir wollen - um bei diesem Begriff zu bleiben - Urwald oder Tourismus, dürften die Antworten jedenfalls in den österreichischen Alpen recht eindeutig ausfallen. Zweifellos besteht die Gefahr, dass aufgrund des enormen Wettbewerbsdrucks, der immer höheren Ansprüche der Gäste, aber auch - um es hier einmal zu sagen - aus dem Streben nach Selbstverwirklichung so mancher Touristiker, das eine oder andere aus dem Ruder zu laufen droht.

Stagnierende Bevölkerung - ein positiver Indikator?

Nicht unproblematisch scheint mir die Anregung des Wissenschaftlers, bei der Suche nach Zukunftslösungen auf jene Orte bzw. Regionen zurückzugreifen, die in ihrer Bevölkerungsentwicklung stagnieren, aber noch ein gewisses Maß an Infrastruktur aufweisen. Wirft man nämlich ein kritisches Auge auf solche Räume, so gelten sie nicht selten als Problemregionen, auch wenn sie auf die eine oder andere Innovation verweisen können, die zu Großvaters Zeiten realisiert worden ist - was ja auch seinen Reiz haben kann. In der Regel aber wünschen solche Regionen greifbare Entwicklungsimpulse, es sei denn, sie sind in stiller Selbstzufriedenheit in sich selbst versunken.

Wandern - Allheilmittel gegen die Leere?

Als Quer-durch-Strategie für Orte und Regionen, die bevölkerungsmäßig weitgehend entleert sind oder abseits des intensiven Tourismus liegen, wird das Wandern empfohlen. Auch wenn diese Freizeit- und Urlaubsaktivität noch so boomt, der Wandertourismus allein wird für solche Gebiete kein Allheilmittel sein können. Denn auch er benötigt eine entsprechende Infrastruktur, jedenfalls dann, wenn er für einen Ort oder eine Region ökonomisch relevant sein und einen Beitrag zur Sicherung und Weiterentwicklung des Bestandes leisten soll. Dort, wo nichts oder fast nicht mehr ist, wird es mit dem Wandern allein wohl nicht gelingen, notwendige dezentrale Infrastrukturen zu erhalten oder gar zu schaffen.

Endogen und exogene Impulse

Werner Bätzing ist vorbehaltlos zuzustimmen, dass die Sicherung und Weiterentwicklung der Alpentäler nicht allein aus sich heraus, also endogen erfolgen kann. Es braucht die Wechselwirkungen mit außen und es braucht die Impulse von außen. Die Alpen besitzen auch abseits des Tourismus einiges an Entwicklungspotenzial, das es zu nutzen gilt. Zudem gewinnt Regionalität mehr und mehr an Bedeutung - gerade auch angesichts globaler Entwicklungen.

Kritik ernst nehmen - aber selber denken!

Das sind nur einige Punkte aus dem Programm des Alpenforschers bzw. einige Reflexionen dazu. Ergänzt sei noch, dass vieles von dem, was der Wissenschaftler im Hinblick auf die künftige und nachhaltige Entwicklung des Alpenraumes vorschlägt, bereits gemacht wird, und zwar in absolut professioneller Weise: Ich denke hier an die Vielfalt und Qualität der regionalen Produkte, das exzellente alpine Handwerk, die Nutzung der Energieressourcen in überschaubaren Dimensionen, die Belebung der Ortskerne oder die vielfältigen Aktivitäten, die zur Festigung des kulturellen und sozialen Selbstverständnisses in der Bevölkerung beitragen.

Die Sicherung des Lebens-, Erholungs- und Wirtschaftsraumes Alpen ist, wie mir scheint, ein gemeinsames und weit verbreitetes Anliegen, auch wenn die Zugänge dazu recht unterschiedlich sein mögen. Der langfristig tragfähige Weg liegt wohl irgendwo dazwischen: Das ungebremste und unreflektierte touristische Bauen und Erschließen wird ebenso wenig dem Ziel einer ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit gerecht werden wie die alleinige Fokussierung auf die sanfte Schiene. Es macht somit in jedem Falle Sinn, den Kritikern und Warnern die nötige Aufmerksamkeit zu widmen. Wir tun aber auch gut daran, vor dem Hintergrund ihrer Aussagen unser eigenes Wissen und unsere eigene Meinung zu reflektieren, um aus dieser Verknüpfung heraus zu neuen, weiterführenden Erkenntnissen zu gelangen.

 

Kommentare zum Beitrag

Kurz nach der Niederschrift meiner Reflexionen zu den Thesen von Werner Bätzing über den aktuellen Zustand und die Zukunft der Alpen ist in der Tiroler Tageszeitung eine Kolumne des Tiroler Schriftstellers Alois Schöpf erschienen, die ebenfalls die Positionen des Alpenforschers zum Inhalt hat. Nach Rücksprache mit dem Autor kann ich seinen Text den Leserinnen und Lesern meines Blogs zugänglich machen.

Die Dodel vom Land

Verfasser: Alois Schöpf (alois.schoepf@aon.at), Schriftsteller, Journalist und seit vielen Jahren Kolumnist der Tiroler Tageszeitung. Quelle: Tiroler Tageszeitung vom 2. Mai 2015, apropos.

Werner Bätzing, renommierter Kulturgeograph, hat mit „Zwischen Wildnis und Freizeitpark“ ein Buch über die Zukunft des Alpenraums geschrieben. Schuld an seinen düsteren Aussichten gibt er dem Neoliberalismus. Wirtschaftswachstum hält er für ein Problem, die Urbanisierung – etwa jene im Tiroler Unterinntal – wird beklagt. Der Ausbau der touristischen Infrastruktur müsse gestoppt werden, regionale Qualitätsprodukte sollten trotz höherer Preise die Märkte erobern. Zum Erhalt der Artenvielfalt müssten die Bauern, auch wenn sich’s nicht mehr rentiert, überleben, wie überhaupt die Liebe des Autors den regionalen Identitäten gehört.

Auf die Frage der ohnehin in demutsvoller Haltung interviewenden Journalistin von WDR5, ob Bätzing bei so viel Liebe zu den Alpen auch dort lebe, lautete allerdings die Antwort: Das sei leider nicht möglich, da er von Beruf Universitätsprofessor in Erlangen gewesen sei. Aber jetzt, in der Pension, was hindere ihn denn daran, in die Alpen aufs so hochgelobte Land zu ziehen? Er wolle, antwortete Bätzing, auf die Anbindung an den universitären Betrieb weiterhin nicht verzichten.

Wir aber, die wir in den Alpen wohnen, sollen schon verzichten? Wir sollten wohl zwecks Erhaltung unserer Identitäten für jeden Deutschen leicht nachvollziehbar die Alpenaborigines spielen! Wie seit Jahrhunderten die Dodel vom Land geben! Vielen Dank, Herr Professor! Das kann die Lösung nicht sein!

Kommentar von Felix Jülg

Bei der Durchsicht deines Blogskommen mir gleich einmal zwei Gedanken dazu, die ich dir kurz mitteilen möchte. Insgesamt wäre die ganze Sache eine längere Diskussion wert; in einigem bin ich nämlich anderer Meinung als du.

Ich habe einmal auf der Wirtschaftsuniversität Wien eine länderkundliche Alpenvorlesung gehalten und dazu auch Schweizer Unterlagen verwendet. Dort ist besonders darauf hingewiesen worden, dass Güter, die in den Alpen produziert werden, in den Vorländern vertrieben werden, sodass die Alpen um deren Ertrag umfallen. Beispielsweise erzeugen die Tauernkraftwerke am Alpenhauptkamm Strom. Die Erträge aus dieser Erzeugung gehen aber in der Firmenzentrale in der Stadt Salzburg ein und werden auch dort versteuert. Ein "Rückfluss" der Werte in das Produktionsgebiet findet nicht statt. Ein allfälliger regionaler Ausgleich würde für die inneralpine Wirtschaftssituation wesentliche Verbesserungen bringen und wahrscheinlich ganz neue Entwicklungen auslösen.

Die touristische Entwicklung neigt (besonders in der Wintersaison) zu starker Konzentration. Wenige Gemeinden erreichen zusammen einen überaus hohen Prozentanteil an Nächtigungen (aus verschiedenen, analysierbaren Gründen), Hier könnte ich ohneweiters zustimmen, dass der Tourismus zur "Verwilderung" beiträgt. Diese Konzentration hat mich bereits bei Diplomarbeit und Dissertation gestört und zu Diskussionen mit Kollegen geführt.

Damals, als ich mich noch nicht intensiv mit dem Fremdenverkehr beschäftigt hatte, vertrat ich die Meinung, dass die Touristen, die den städtischen Agglomerationen entfliehen, statt "aufs Land" in neue stadtähnliche Agglomerationen auf Urlaub fahren. Das habe ich (in Zeiten der Noch-Sommerfrische) für einen Irrweg gehalten, auch weil dadurch die volkswirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für ländliche Gebiete nicht effizient genutzt würde. Heute sehe ich die Sache natürlich nicht mehr so "primitiv", obwohl etwas Wahres schon dran ist an der Sache. Ich meine aber schon, dass die großen Fremdenverkehrskonzentrationen aus vielen Gründen ein "Wildwuchs" sind, ökologisch, technisch und in manchen Bereichen auch wirtschaftlich (z. B. durch die Ver- und Zersiedlung).

Als ein besonders deutliches Beispiel von sehr vielen fällt mir da die aufwändige neue Umfahrungsstrasse für Klosters im Prättigau ein. Welche Siedlungsdichte (Bettendichte) bezogen auf die nutzbaren Flächen in Fremdenverkehrsgebieten in den Alpen nicht überschritten werden sollte, wäre sicher zu überlegen. Schon lange wäre ich für eine Umweltverträglichkeitsprüfung für grössere Investitionen im Tourismus. Aber, wie gesagt, das wäre alles eine längere Diskussion wert und ist sehr komplex.

29. April 2015


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